1. Grundlegende Anforderungen der BNCT - BSH und BPA

Autor: Martin Kellert und Evamarie Hey-Hawkins

© Dr. Christoph Selg

Die cytotoxische Wirkung der Bor-Neutroneneinfangtherapie (BNCT) beruht auf der Kernreaktion zweier im Wesentlichen ungiftiger Spezies, Bor-10 (10B) und thermischer Neutronen, deren zerstörerische Wirkung in mit Bor-10 angereicherten Geweben gut zu beobachten ist. Die hohe Anreicherung in Tumorgewebe und die selektive Abgabe von 10B an das Tumorgewebe sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine effiziente Neutroneneinfangtherapie bei Krebs. Um Tumorzellen mit BNCT tödlich zu schädigen, müssen bei der Entwicklung von Bortransportmolekülen drei wichtige Parameter berücksichtigt werden: (1) die Borkonzentrationen im Tumor sollten im Bereich von 20-35 μg 10B/g Tumor liegen; (2) das Verhältnis Tumor/normales Gewebe sollte größer als 3 zu 5 sein; und (3) die Toxizität sollte ausreichend gering sein. Bislang werden zwei Borverbindungen, Natriummercaptoundecahydrododecaborat oder Natriumborocaptat (Na210B12H11SH; Na210BSH) (1) und L-p-Boronophenylalanin (L-10BPA, 4-Dihydroxyboryl-L-phenylalanin) (2), zur Behandlung von Patienten mit bösartigen Hirntumoren und malignen Melanomen eingesetzt.
Fig. 1 Molekülstrukturen der wichtigen BNCT-Verbindungen BSH (1) und L-BPA (2).
In letzter Zeit wurde die BNCT bei verschiedenen Krebsarten angewandt, darunter Kopf- und Halstumore, Lungentumore, Hepatome, Brusttumore und Mesotheliome. Darüber hinaus wurde die Technologie zur Erzeugung von Neutronen mit Hilfe von Beschleunigern in verschiedenen Ländern weiterentwickelt. In Japan wurde die Beschleuniger-basierte BNCT mit L-BPA bereits im März 2020 zur Behandlung von Kopf- und Halstumoren zugelassen. Seit Mai 2020 darf die Firma Stella Pharma Steboronine® (generischer Name: Borofalan), das als D-Sorbitol-Komplex vorliegende und mit Bor-10 (99%) angereicherte L-BPA, vermarkten. Dieser BNCT-Wirkstoff hat gegenüber dem entsprechenden Fructose-Komplex den Vorteil, dass er etwa drei Jahre lang lagerfähig ist und nicht für jede Anwendung, unter Wahrung des GMP-Standards, frisch zubereitet werden muss. Daher ist die Entwicklung neuer und selektiver Bortransportmoleküle eine der wichtigsten Aufgaben, um die Anwendung von BNCT auf weitere Krebsarten auszudehnen. In den letzten zehn Jahren wurde die Entwicklung von Bortransportmolekülen in zwei Richtungen verfolgt: kleine borhaltige Moleküle und Borverbindungen, die mit Biomolekülen konjugiert sind. Im Gegensatz zu pharmazeutischen Ansätzen müssen Bortransportmoleküle eine hohe Tumorselektivität aufweisen und sollten im Wesentlichen ungiftig sein. Daher ist der letztgenannte Ansatz einer der jüngsten Trends, um große Menge von 10B in Tumorgewebe anzureichern. Auf den folgenden Seiten werden neue und vielversprechende Kandidaten für Bortransportmoleküle, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurden, zusammengefasst.